Bilder zweier Ausstellungen zu Werken von Otto Ubbelohde
C Jochen Pabst, jo.pabst@t-online.de 20.5.2014
Die Illustrationen Otto Ubbelohdes zu den Märchen der Brüder Grimm habe ich all die Jahre, in denen wir unseren Kindern aus den großen in grünes Leinen eingebundenen Bänden vorgelesen haben, selten genauer beachtet. Sie waren Beiwerk, also im Wortsinn Illustrationen.
Vielleicht kam dieses Übersehen der Bilder auch dadurch, dass sie bei uns allgegenwärtig waren. Wir fanden sie passend, sie gehörten einfach dazu. Ihre düstere Stimmung wirkte auf uns und wohl auch auf unsere Kinder. Wir haben selten über die Bilder gesprochen.
Eine Ausnahme bilden zwei Grafiken:
- Die eine „Die drei Blumen“ zu einem uns allen unbekannten Märchen habe ich in meiner Ansprache auf der Hochzeitsfeier unserer Tochter Ulrike verwendet – sie heiratete schließlich einen Ubbelohde. Das Bild war auf der Rückseite der Tischkarten abgedruckt.
- Das andere Bild war die Grafik „Der verlorene Sohn“, keine Märchenillustration, sondern Spätwerk, das letzte Werk vor dem Tod Otto Ubbelohdes 1922. Äußerste Reduktion der Personen und des Vorgangs auf wenige Linien und Striche mit der Feder.
Statt mit den Märchenzeichnungen, mit denen Otto Ubbelohde bis heute weltberühmt ist, habe ich mich mit seinen Landschaftsbildern beschäftigt und auf zwei Familientagen der Ubbelohdes Vorträge gehalten, die dafür warben, ihn nicht nur als Illustrator wahrzunehmen. Es ging dabei um seine besondere Gestaltung der Zentralperspektive und um elementare Abstraktion durch Farbkompositionen in Landschaftsgemälden und Stillleben.
Nun hat mir eine Ausstellung „Es war einmal … Illustrierte Märchenbücher seit Otto Ubbelohde“ im Marburger Schloss einen neuen Blick auf seine Grafiken zu Märchenbüchern vermittelt und mir gezeigt, wie die Wirkung dieser Bilder verstanden und erklärt werden kann.
Märchenillstrationen neigen zu einer anscheinend naturgetreuen Darstellung, die die Märchenhaftigkeit des Erzählten besser vorstellbar und wirkungsvoller für den Leser oder Zuhörer machen soll. Der Zusammenhang zwischen Text und Bild ist ein Spiel zwischen Fiktion und Ebenen der Wirklichkeit.
Die Ausstellung in Marburg belegt, wie sich in der Bebilderung der Märchenbücher immer stärker farbige Darstellungen durchsetzten, Aquarellmalerei, die bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts immer stärkere Farbkontraste verwendete bis hin zu den vermeintlich realistischen Animationen aus der Welt des Walt Disney. Otto Ubbelohde hatte für seine Umrisszeichnungen noch ganz auf Farbe verzichtet. Er hatte eine andere Methode und schuf damit andere Zugänge zu den Märchen.
Zwei Beispiele: „Frau Holle“ und „Der Däumling“
Oben links jeweils die Grafik von O.U., darunter Fassungen von 1937 und 1952 und ganz unten aus einem us-amerikanischen Comic.
Otto Ubbelohde hatte ein anderes Verständnis von Märchen als die Grafiker mit den Bebilderungen zu Märcheninhalten. Er zielte auf eine Hermeneutik der Märchen mit Verdichtung durch Reduktion der Szenen und des Dargestellten. Die Schlüssel zum Verstehen und Nachvollziehen des Erzählten liegen in Metaphern, die er zeichnete, im Hin und Her zwischen Märchenwelt und Wirklichkeit.
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Ubbelohdes Grafiken zu Märchen erfassen die grundlegenden Elemente der Märchenwelt.
Stereotype und Typisierungen (z.B. böse Stiefmutter, schöner, abenteuerliebender Prinz, arme Frau alleinerziehend, eine Witwe, die hatte zwei Töchter, die eine war schön … ).
Übergänge als Grundsituationen des menschlichen Lebens (z.B. Geburt und Tod, Glück und Versagen, Lüge/Betrug und Offenheit/Mitmenschlichkeit/Helfen).
Beispiel zum Märchen „Gevatter Tod“ (1907):
Abstraktion: Moralische Vorstellungen und Regeln (bei O.U. im Hintergrund, er ist kein Moralapostel).
Wie wirken seine Grafiken auf uns heute?
- Wir erkennen Elemente aus dem Jugendstil seiner Worpsweder Zeit und das vermittelt das Gefühl der Vertrautheit und gibt die Sicherheit des Wiedererkennens.
- Die Grafiken reduzieren die dargestellten Figuren und die Landschaften und Gebäude auf wenige Linien und das bewirkt eine starke Verdichtung des Erzählten in der Vorstellung von Lesern/Zuhörern. Otto Ubbelohde zeichnete Metaphern zu den Märchen. Unsere Imagination hängt nicht an scheinbar realistischen Bildinhalten, sondern hat Raum, sich in die Märcheninhalte zu entfalten. „Otto Ubbelohde schuf offene poetische Räume.“ (Marburger Ausstellung)
- Die Reduktion der Szenen und Handlungselemente eines Märchens auf die eine Szene (Beispiel Frau Holle) steigert die Verdichtung und damit die Wirkung auf Leser/Zuhörer.
- Das Wiederkennen von Elementen der Wirklichkeit (Burgen, Schlössern, typischen Landschaftsformen seiner nordhessischen Heimat, die ja zugleich die Heimat der Grimmschen Märchen ist.) lenkt nicht ab vom Erzählten, denn sie wirken nicht realistisch, sondern metaphorisch.
Seit etwa fünf Jahren gibt es bei den Illustrationen zu Märchenbüchern eine Gegenbewegung gegen die starke Farbigkeit in Märchencomics.
Es ist eine Wiederentdeckung der Linie in den Grafiken. Anders als bei Otto Ubbelohde sind sie weicher und zurückhaltender in ihrer Wirkung.
Auf mich wirkt das so, als ob sie seiner Hermeneutik der Märchenbilder nahe stehen oder ihr sogar verpflichtet sind. Ein Beispiel aus der Marburger Ausstellung zum Märchen „Brüderchen und Schwesterchen“.